Fakten zum Artikel
Ort:

Berlin

Wer:

Polizisten, Politiker, Medienvertreter

Was:

Sommer 2011: Die Serie von Autobrandstiftungen in Berlin hat ihren Höhepunkt erreicht. Täglich gibt es Meldungen von brennenden Fahrzeugen. Obwohl die Täter unerkannt bleiben, ist die linke Szene im Visier von Polizei, Politik und Medien. Der Ruf nach Maßnahmen gegen die „Linksextremen“ wird laut – auch als Teil des Berliner Wahlkampfs. Als sich herausstellt, dass einer der Haupttäter völlig unpolitisch agiert hat, müssen Politiker und Medien einlenken und sich vor dem Vorwurf der einseitigen Zuschreibung rechtfertigen.

 

Berliner Autobrandstiftungen und die radikale Linke

Der August 2011 ist ein heißer Monat. Nicht nur tagsüber, auch nachts. Am 16. August 2011 brennen binnen zweier Stunden 17 Autos im Berliner Bezirk Charlottenburg. Dieser Tag bildet den Höhepunkt einer Serie von Autobrandstiftungen in Berlin.

Die 17 Autos sind ausschließlich Wagen gehobener Marken, wie Mercedes, BMW und Audi. Der Täter ist unbekannt. Die Polizei mutmaßt zu diesem Zeitpunkt, dass hinter diesen und einer Mehrzahl der vorhergehenden Anschläge derselbe Täter oder dieselbe Täterin steckt. Man geht von „einer politischen Tatmotivation“ aus.

"Da in allen Fällen eine politische Tatmotivation in Betracht zu ziehen ist, hat der Polizeiliche Staatsschutz des Landeskriminalamts die weiteren Ermittlungen übernommen." Polizeisprecher Berlin, 17.08.2013

Brennende Autos als Protestform

Von Anfang an werden Anhänger der politisch linken Szene von Vertretern der Polizei, Politik und Medien verdächtigt, die Urheber der Autobrandstiftungen zu sein. Autos, insbesondere Luxuswagen, sind seit mehr als zehn Jahren Ziel von Brandstiftungen der radikalen Linken, weil sie in ihren Augen Wohlstand, Konsum und die Globalisierung verkörpern. Insbesondere zwischen 2007 und 2009 werden Bekennerschreiben in den einschlägigen Internetforen veröffentlicht, in denen Autonome ihre Aktionen gegen „reiche Bonzen“, steigende Mieten, Globalisierung oder auch innenpolitische Themen wie Bundeswehr und Waffenexporte richten. Aufsehen erregt auch die Untergrundzeitschrift Interim, die sich als Sprachrohr der linksradikalen Szene versteht, als sie Bauanleitungen für Brandsätze veröffentlicht. Zusätzlich werden - einem Wettbewerb gleich - bisherige Autobrände, die betroffenen Wagenklassen und die jeweils bekennenden Tätergruppen aufgelistet und indirekt zur Brandstiftung aufgerufen.

Bei mehr als 400 brennenden Autos im Jahr 2009 wird jedoch Kritik in den eigenen Reihen laut, weil viele der Anschläge weder in den wohlhabenden Stadtvierteln wie Charlottenburg, am Kurfürstendamm oder in Frohnau, noch an Oberklassewagen verübt wurden. Stattdessen brennen scheinbar auch willkürlich ausgesuchte Autos. Die Diskussionen drehen sich darum, ob diese Aktionen tatsächlich ein politisches und vor allem legitimes Mittel des Protests seien. Als Gegenargumentation werden die Gefährdung von Menschenleben sowie Beispiele von sozial schwachen Autobesitzern angeführt, die durch die Anschläge eine starke finanzielle Belastungen erlitten haben. 2010 geht die Quote der Brandanschläge in Berlin erheblich zurück.

Wahlkampf: Politische Brandstiftung anders herum

Das Jahr 2011 verzeichnet erneut einen Anstieg. Für Berliner Autobesitzer ist es eine ungewisse Zeit. Bis August werden rund 500 durch Brandstiftung verursachte Fahrzeugschäden gemeldet. Kanzlerin Angela Merkel äußert sich besorgt über die Lage der Hauptstadt. Selbst die New York Times greift das Thema auf und berichtet unter dem Titel „Germany’s Capital Burns Bright, and Without Explanation“. Diese Unsicherheit wird im Wahlkampf für das Berliner Abgeordnetenhaus aufgegriffen.

Die FDP verwendet in einem ihrer Wahlplakate ein Bild, auf dem zwei Personen an einem umgeworfenen, brennenden Kleinwagen vorbeihetzen. Der Spruch „Erst Autos, und dann…?“ suggeriert, dass die Brandstifter freie Hand hätten und Angriffe womöglich auf Menschen übergehen könnten. Auch die CDU verwendet Motive von Autobrandstiftungen in ihrem Wahlkampf. Ein Plakat zeigt ein in Flammen stehendes Auto, das einem Inferno gleicht, ein anderes ein Autowrack eines Kleinstwagens, der eher nicht als Luxuswagen gelten kann. Mit dem Teaser „So regiert Rot-Rot“ wird explizit die Kürzung des Polizeietats unter dem SPD-Innensenator Eberhart Körting kritisiert und eine Sicherheitslücke auf Kosten der Bürger diagnostiziert.

Die Reaktionen auf die Wahlplakate fallen eindeutig aus. „Die CDU entdeckt ein Wahlkampfthema“ titelt der Berliner Tagesspiegel. Frank Henkel, der CDU-Spitzenkandidat wirft dem regierenden SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit Handlungsunfähigkeit vor, wofür die „verheerende Serie von Brandanschlägen“ ein sichtbarer Beleg wäre.

"Wer Berlin regieren will, muss auch Vandalismus und Gewalt in den Griff bekommen." CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel

Die SPD wirft der CDU „politische Brandstiftung“ mit diesem Wahlkampfthema vor.

"Das ist billiger Wahlkampf auf dem Rücken der Polizisten. Die Polizei verdient Respekt und keine Unterstellungen, sie würde zu wenig gegen die Brandstifter tun.” Innensenator Ehrhart Körting

Gefahr der Stigmatisierung

Die Berliner Polizei geht bei  47 Prozent der Autobrandstiftungen von politisch motivierten Taten aus dem linken Spektrum und von „pseudopolitischen“ Nachahmern aus. Tatsächlich können nur weniger als zwei Prozent der Fälle durch Bekennerschreiben und entsprechende Beweise der linksautonomen Szene zugeordnet werden. Dieses Mal hält sich der Beifall in den linken Internetforen wie indymedia.org in Grenzen, stattdessen liefern sich Beteiligte heftige Diskussionen. Dass sich jedoch viele Vertreter der linken Szene, wie auch die Partei Die Linke, von den Wiederholungstaten distanzieren, wird nicht überall akzeptiert. Die Zuschreibungen geben den Nährboden frei für einfach gestrickte Argumentationsmuster von Rechtspopulisten - etwa der Kleinpartei „Die Freiheit“, die sich die Unsicherheit und das Sicherheitsbedürfnis vieler Bürger zu nutzen machen und ein hartes Vorgehen gegen „Linksextremisten“ fordern.

Das Phänomen richtig einordnen

Es gibt auch beschwichtigende Stimmen. Entgegen der Aussagen von Innenpolitikern der SPD und CDU geht Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes, welches zwischenzeitlich zur Unterstützung der Ermittlungen eingeschaltet worden ist, nicht von einer „Vorstufe zum Terrorismus“ aus.

„Schätzungsweise gehören 20 bis 30 Prozent der Täter zum linksextremistischen Spektrum. Der Rest sind Chaoten, notorische Randalierer, Pyromanen, andere Trittbrettfahrer und vereinzelt auch Versicherungsbetrüger." Der Präsident des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke in der Schweriner Volkszeitung

Bei so viel medialer Öffentlichkeit und Wachsamkeit der Berliner Bewohner animiert das Thema auch Trittbrettfahrer, erlebnisorientierte Jugendliche und Menschen, die ihre Grenzen ausprobieren wollen. Fast sarkastisch mutet das Beispiel eines Mannes an, der wegen zweier verübter Autobrandstiftungen festgenommen wird. Als Motiv nennt er den Erlös von selbstgeschossenen Brandfotos, welche er an Zeitungen weiterverkaufe.

Ende Oktober 2011 gelingt der Polizei der große Coup. Mithilfe von Videoaufnahmen kann ein 27-jähriger Täter dingfest gemacht werden. Er gibt zu, zwischen Juni und August 2011 67 Autos in Brand gesetzt und dabei weitere 35 beschädigt zu haben. Wie die Berliner Polizei mitteilt, kommt der zur Tatzeit arbeitslose Maler „definitiv nicht“ aus der linken Szene, sondern habe sich aus „Frust“ an seiner persönlichen Situation zu den Brandstiftungen an den Automarken Mercedes, Audi und BMW hinreißen lassen. Er beendet die Anschläge in dem Moment, als er im September einen Aushilfsjob findet. Für die Polizei ist dies ein massiver Fahndungserfolg, hat der Mann doch gut 20 Prozent der Berliner Autobrände im Jahr 2011 zugegeben. Der öffentlichen Debatte über linke Gewalt und Sicherheit ist damit erst mal der Wind aus den Segeln genommen.

Das Thema wird abgelöst

Nur zwei Wochen nach der Festnahme erscheint das Thema „Linksextremismus“ obsolet. Am 4. November 2011 fliegt die rechtsextreme Zwickauer Terrorzelle NSU auf, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt werden in einem Wohnmobil in Eisenach tot aufgefunden, Beate Zschäpe wird verhaftet. Der NSU hat seit dem Jahr 2000 zehn Menschen ermordet und viele weitere verletzt. Bis heute bleiben Fragen offen, zum Beispiel, warum der Verfassungsschutz die im Geheimen über Jahre hinweg überwachte Gruppierung nicht eher aufgegriffen hat und so rechtsextremistisch motivierte Morde hätte verhindern können.

Politische Gewalt von links und der gesellschaftliche Umgang sind damit nicht aus der Welt geschafft. 2013 kommt es zum Beispiel zu einer Reihe von Brandanschlägen auf Berliner Jobcenter. Die Akteure aus Politik und Medien scheinen sich jedoch über die Gefahren der Wortwahl und Stigmatisierung nun etwas mehr bewusst zu sein. Eine vergleichbare Stimmungsmache wie zu den Autobrandstiftungen bleibt diesmal aus.

 

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